Komplexe Probleme, Psychologie und Wicked Problems


Folgend wird ein Blick hinter die Fassade von komplexen Problemen geworfen. Auch die Psychologie beschäftigt sich intensiv mit diesem Thema. Wir schaffen auch einen Überblick zu „Wicked Problems“ (knifflige, schwierige Probleme).

Als komplexes Problem wird in der Psychologie ein Problem bezeichnet, welches sich durch folgende fünf Charakteristika von einem einfachen Problem unterscheidet:

Komplexität, Vernetztheit, Eigendynamik, Intransparenz und Polytelie.

Der Begriff „komplexes Problem“ stammt aus der Psychologie und wurde von Dietrich Dörner geprägt und von Joachim Funke weiterentwickelt.

Komplexe Probleme sind - wie genannt - durch die folgenden fünf Merkmale gekennzeichnet:

  • Komplexität: Komplexität wird traditionellerweise anhand der Anzahl der Variablen in der gegebenen Situation definiert. Zum Lösen des Problems ist daher eine Informationsreduktion notwendig.
  • Vernetztheit: Die Variablen der Problemsituation sind untereinander stark vernetzt. Der Grad der Vernetztheit kann dabei allerdings variieren. Eine Variable kann mit einer weiteren bis hin zu allen weiteren Variablen vernetzt sein. Daher besteht die Notwendigkeit zur Strukturierung der Informationen.
  • Eigendynamik: Die Variablen des Systems können sich auch ohne Zutun des Problemlösers über die Zeit verändern. Diese Veränderungen sind meist nicht vorhersehbar, wodurch schnelle Entscheidungen erforderlich werden.
  • Intransparenz: Bei einem komplexen Problem sind nicht immer alle Informationen zugänglich. Teilweise sind die Informationen nicht vorhanden und teilweise in der aktuellen Situation noch nicht verfügbar. Daher müssen Informationen aktiv beschafft werden.
  • Polytelie/Vielzieligkeit: Komplexe Probleme enthalten mehrere, teilweise widersprüchliche Ziele. Der Problemlöser muss deshalb Prioritäten setzen und Kompromisse eingehen.

Gary Klein bringt im Rahmen seiner Forschung zum lebensnahen Entscheiden (Naturalistic Decision Making) als weiteres Charakteristikum die emotionale und motivationale Bedeutsamkeit (high stakes) eines Problems ein. Das bedeutet, das Problem muss für den Problemlöser emotional bedeutsam erscheinen und ihn dazu motivieren, eine Lösung zu finden.

Inwieweit diese Eigenschaften tatsächlich nützlich sind, komplexe Probleme von einfachen Problemen zu unterscheiden, ist nicht unumstritten. So ist beispielsweise die Unterscheidung zwischen Komplexität und Vernetzheit problematisch, da jene zwei Eigenschaften in starker Wechselwirkung miteinander stehen.

Weiterhin gibt es in diesem Kontext keine für die Komplexität eindeutige Definition, die es ermöglicht, ein Problem als mehr oder weniger komplex zu beschreiben.

Problemlösen und psychologische Konstrukte

In der Forschung zum Lösen komplexer Probleme wird diskutiert, ob komplexes Problemlösen und Intelligenz substantiell gleiche Konstrukte darstellen. Die eine Forschungstradition (u. a. vertreten durch Dietrich Dörner und Joachim Funke) argumentiert, dass die Fähigkeit des komplexen Problemlösens mehr beinhalte als Intelligenz alleine und postulierte sogar eine neue Fähigkeit, die Operative Intelligenz.

Die andere Forschungstradition (u. a. vertreten durch Heinz-Martin Süß) formulierte die These, dass ein substantieller Zusammenhang zwischen den beiden Konstrukten bestehe. Süß konnte in einer umfangreichen Arbeit zu dieser Fragestellung empirisch nachweisen, dass die Leistung beim komplexen Problemlösen nahezu vollständig durch Intelligenz und Wissen erklärt werden kann. Auch in neueren Arbeiten werden durchwegs empirische Zusammenhänge zwischen der komplexen Problemlöseleistung und Leistungen in Intelligenztests gefunden, deren Höhe vergleichbar mit Korrelationen zwischen verschiedenen Intelligenztests ist.

Daher kann davon ausgegangen werden, dass komplexes Problemlösen eher die Leistung in neuartigen, interaktiven Intelligenztests beschreibt, als tatsächlich eine von Intelligenz verschiedene Fähigkeit darstellt. Auch der Zusammenhang zu anderen Konstrukten wie z. B. Arbeitsgedächtnis, Persönlichkeitseigenschaften, Motivation oder Emotionen wurde untersucht.

Bei einfachen Problemen führen beispielsweise positive Affekte zu einer besseren Leistung, wobei der Einfluss von Emotionen auf die Problemlösefähigkeit bei komplexen Problemen nicht vollständig geklärt ist. Die Forschung zum Naturalistic Decision Making und Dynamic Decision Making im angloamerikanischen Sprachraum beschäftigt sich ebenfalls mit komplexen Problemen.

Komplexe globale Probleme

Komplexe Probleme, welche die ganze Welt betreffen, werden als "Global Issues" im 2015 vereinbarten "Weltzukunftsvertrag" der Vereinten Nationen adressiert:

  • Armut
  • Aussterben von Arten
  • Ernährungssicherung
  • Friedenssicherung
  • Gleichstellung der Geschlechter
  • Klimawandel
  • Pandemien
  • Umweltverschmutzung


10 Charakteristika von Wicked Problems
(nach Rittel und Webber, 1973)

Das Konzept der Wicked Problems stammt im Wesentlichen vom Designwissenschaftler Horst W. J. Rittel. Zusammen mit seinem Kollegen, dem Stadtplaner Melvin M. Webber, hat er zu Beginn der 1970er in einem vielzitierten Beitrag (engl.: „Dilemmas in a General Theory of Planning“) zehn Charakteristika eines Wicked Problems zusammengetragen. Diese lauten etwa: Es gibt keine endgültige/abschließende Formulierung eines Wicked Problems.

  1. Wicked Problems haben keine Stop-Regel, weil sie nicht abschließend definiert werden können
  2. Lösungen eines Wicked Problems sind weder richtig noch falsch, sondern gut oder schlecht
  3. Es gibt keinen Schnelltest und keinen ultimativen Test für eine Lösung eines Wicked Problems
  4. Jede Lösung eines Wicked Problems ist eine einmalige Maßnahme, weil es keine Möglichkeit gibt, sie vorher zu testen
  5. Jeder Versuch zählt maßgeblich
  6. Es gibt keine abzählbare Menge möglicher Lösungen
    für ein Wicked Problem
  7. Jedes Wicked Problem ist im Kern einzigartig
  8. Jedes Wicked Problem kann als Symptom eines anderen Problems verstanden werden
  9. Es gibt viele Arten, die Missverhältnisse, die bei Wicked Problems bestehen, zu erklären. Die Wahl der Erklärung bestimmt die Richtung der Problemlösung
  10. Der Planer/die Planerin hat kein Recht falsch zu liegen

Auch wenn der Beitrag von Rittel und Webber schon fast 50 Jahre alt ist: Von seiner Aktualität hat er nichts eingebüßt. Auch heute stellen uns noch viele vertrackte Probleme vor große gestalterische und planerische Herausforderungen.

Dabei gilt: Um ein verzwicktes Problem zweifelsfrei zu identifizieren, muss es nicht alle der oben genannten 10 Punkte erfüllen. Je mehr der oben genannten Punkte aber auf ein Problem zutreffen, desto wahrscheinlicher ist es „wicked“.